Wie kann Künstliche Intelligenz in der Finanzverwaltung eingesetzt werden? Welche Rolle spielen Erkenntnisse aus der Psychologie und Verhaltensökonomie für die Kooperation zwischen Bürger*innen und Staat? Wo sind in einer liberalen Demokratie die grundrechtlichen Grenzen für die Nutzung digitaler Anwendungen im Steuervollzug zu ziehen? – Barbara Gunacker-Slawitsch, Professorin am Institut für Finanzrecht, beschäftigt sich damit, wie Steuern in einer digitalisierten Welt effizient und effektiv erhoben werden können, ohne dass die individuelle Freiheit der Bürger*innen über das erforderliche Maß hinausgehend beschränkt wird.
Kombination von Vertrauen und Strafe
Die Digitalisierung hat die Art und Weise, wie gewirtschaftet wird, stark verändert und stellt damit auch den Abgabenvollzug vor Herausforderungen. Ein moderner Steuervollzug sollte sowohl neue Technologien als auch aktuelle verhaltenswissenschaftliche Erkenntnisse berücksichtigen, ist Barbara Gunacker-Slawitsch überzeugt.
Die Schnittstelle zwischen Recht, Wirtschaftswissenschaft und Psychologie spielt hier eine zentrale Rolle. Erkenntnisse aus der Verhaltensökonomie und Steuerpsychologie zeigen, dass Steuerpflichtige nicht allein durch Angst und Strafe zur Kooperation bewegt werden können – Faktoren wie Fairness, Freundlichkeit oder Vertrauen sind ebenso von Bedeutung. Diese Erkenntnisse haben im Steuervollzug sowohl die Gestaltung verbindlicher Normen als auch das informelle Verwaltungshandeln bereits stark beeinflusst. Aufbauend auf den Forschungsergebnissen der Verhaltenswissenschaften können neue Formen einer verstärkten Zusammenarbeit zwischen Steuerpflichtigen und der Abgabenbehörde entwickelt werden. Gleichzeitig gilt es, die Grenzen psychologischer Verhaltenssteuerung in einem demokratischen Rechtsstaat auszuloten.
Fortschritt durch Forschung
Smarte Regulierung im Abgabenvollzug bedeutet beispielsweise, ein Set unterschiedlicher Maßnahmen zu entwickeln, um auf die Bedürfnisse und Herausforderungen verschiedener Gruppen von Steuerpflichtigen gezielt zu reagieren, meint Gunacker-Slawitsch. Sie befürwortet eine Regulierung, „die auf einzelne Gruppen der Steuerpflichtigen zugeschnitten ist und die Erwartungen der Gesellschaft an den Staat sowie den Einsatz moderner Technologien berücksichtigt, ohne unnötig tief in die Grundrechte der Bürger*innen einzugreifen.“
Zwischen Freiheit und automatisierter Überwachung
Zukünftig wird sich Barbara Gunacker-Slawitsch verstärkt mit Regulierungskonzepten für kleine und mittlere Unternehmen auseinandersetzen. Denn hier könnte es zu einem Umbau des Abgabenvollzugs kommen. „Nach den Vorstellungen der OECD soll in den nächsten Jahren eine Transformation des Steuervollzugs stattfinden, in dem der Vollzug für viele Steuerpflichtige kaum bemerkbar wird und digitale Programme im Hintergrund für die ordnungsgemäße Erhebung der Steuern sorgen. Ein solcher Umbau des Abgabenvollzugs würde unsere Gesellschaft weiter massiv verändern, insbesondere wenn der Grundgedanke der Verantwortung der Bürger*innen für das Funktionieren des Steuervollzugs weitgehend aufgegeben wird. Ein zeitgemäßer Abgabenvollzug muss moderne Technologien berücksichtigen; doch wo liegen die Grenzen für den Einsatz Künstlicher Intelligenz?“, so die Finanzrecht-Expertin.
Um dieser und vielen weiteren Fragen auf den Grund zu gehen, arbeitet Barbara Gunacker-Slawitsch an einer interdisziplinären Vernetzung mit dem Institut für Psychologie und dem Institut für Unternehmensführung und Entrepreneurship. Die fächerübergreifende Zusammenarbeit müsse in diesem Bereich weiter verstärkt werden, meint die Professorin der Uni Graz: „Denn der Steuervollzug befindet sich bereits seit einiger Zeit in einem massiven Umbruch. Die Fragen, die hier zu beantworten sind, können nur interdisziplinär gelöst werden.“
Zur Person: Assoz. Prof. Dr. Barbara Gunacker-Slawitsch, Institut für Finanzrecht.
Aktuelle Publikationen von Barbara Gunacker-Slawitsch:
- Selbstregulative Standardsetzung und kooperative Durchsetzung: Erfahrungen und Zukunftschancen aus der Perspektive des Abgabenvollzugs, in: Smart Regulation: Vertrag, Unternehmung, Markt, Mohr Siebeck 2021. (Open Access Publikation)
- Amtswegigkeit und Mitwirkung im Abgabeverfahren, Manz 2020.
Maria Fanta